Historiographics

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Der Schuh des Jahrhunderts

ein Objektcomic

*1) Deutsche Akkulampe aus dem Jahr 1925 (montan.dok 030140311000). So ähnlich könnte Fritz Wienpahls Lampe ausgesehen haben. Die Brenndauer dieses Modells betrug 12-14 Stunden.


Der Comic erzählt die Geschichte des Schuhs des Hauers Fritz Wienpahl aus der Sammlung des deutschen Bergbaumuseums in Bochum. Seine Genese von einem Alltags- zu einem musealen Objekt beruht auf der besonderen Rolle, die er bei der Rettung des 1930 bei einem Grubenunglück auf der Zeche Victor in Castrop-Rauxel verschütteten Bergmanns spielte.

Der bei einem Strebbruch eingeschlossene Fritz Wienpahl fing mit ihm in der Dunkelheit die mit hohem Druck durch eine Leitung zu ihm gepressten Flüssigkeiten auf, die ihn über 7 Tage am Leben hielten.

Schon unmittelbar nach den Ereignissen wurde er von den Beteiligten als ein bedeutsames Objekt wahrgenommen, präpariert und über lange Zeit im Büro des Betriebsführers der Zeche Victor zur Schau gestellt. Er stand für die erfolgreiche Rettung des Lebens eines untertage verunglückten Kumpels, was damals durchaus keine Selbstverständlichkeit war. Heute ist das Objekt in der Dauerausstellung des Bergbaumuseums in einer Sektion zum Thema Grubenunglücke zu sehen.

Mit dem Comic soll Interessierten die Geschichte des Objekts visuell nähergebracht werden. In ihrer Dramatik eignet sie sich für eine Erzählung in Comicform besonders gut. Comics sprechen die Leser*Innen unmittelbar sinnlich und emotional an und die vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten erlauben es, auch komplexe Abläufe und räumliche Kontexte anschaulich wiederzugeben. Optisch abgegrenzte Hintergrundinformationen zu den Umständen der Rettung oder anderen Sammlungsobjekten reichern das Narrativ an.

Aufgrund des didaktischen Anspruchs stellte sich bei der Entstehung des Comics stets die Frage der historischen Authentizität der Darstellung. Zu deren Gewährleistung wurde auf ein breites Spektrum an Quellen aus dem Montanhistorischen Dokumentationszentrum montan.dok zurückgegriffen, der Sammlungs- und Archivabteilung des Deutschen Bergbaumuseums Bochum.

Neben Fotos von weiteren Sammlungsobjekten und Bildern vom Untertagebetrieb im Kohlebergbau in den 1930er Jahren diente u.a. auch eine in der Bibliothek vorhandene zeitgenössische Darstellung des Grubenunglücks in der Klöckner-Werkszeitung „Unser Pütt“ als Quelle. Gerade das fotografische Referenzmaterial vermittelte einen guten Eindruck von der Ausrüstung, den Abbau- und Ausbaumethoden der Zeit sowie dem Aussehen der damaligen Über- und Untertageanlagen.

Schwieriger ließen sich zeit- und milieuspezifische Umgangsformen und Sprechweisen oder der individuelle Charakter Fritz Wienpahls fassen. Eine dem Verunglückten selbst zugeschriebene Schilderung des Geschehens in einem Bericht war hierbei allerdings hilfreich. Sie findet sich in z.T.  abgewandelter Form in den Sprechblasen wieder.

Viele Details und Merkmale von Orten, Gegenständen oder Personen ließen sich in ihrer örtlichen und zeitlichen Spezifik trotz der guten Quellenlage nicht immer quellenmäßig verifizieren. Auch war es nötig, Zusammenhänge und Abläufe zugunsten einer besseren Lesbarkeit zu vereinfachen. Insofern stellt der Comic wie alle Geschichtscomics eine Mischung aus Fakt und Fiktion dar.

Dennoch gibt er eine mögliche und plausible Version der Ereignisse wieder und vermittelt eine Vorstellung davon, wie sich das Unglück abgespielt haben muss, was ja vorrangiges Ziel des Comics ist. Er versucht zudem das vermeintliche Manko des Geschichtscomics, nicht Verifizierbares visuell darstellen zu müssen, didaktisch zu nutzen, indem er den Leser*Innen ein kleines Stück weit an dem mit der Entstehung des Comics verbundenen Recherche- und Entscheidungsprozess teilhaben lässt. Der Verweis auf technische Details wie der Leuchtdauer einer dargestellten Grubenlampe soll so die in der visuellen Darstellung erzeugte Illusion eines authentischen, tatsächlich gewesenen historischen Geschehens bewusst durchbrechen.

Als ergänzender Zugang zu historischen Sachverhalten können Geschichtscomics somit nicht nur veranschaulichen und den Zugang zu Objekten erleichtern, sondern auch den kritischen Blick auf Bilder fördern und Interesse an den historischen Hintergründen von Objekten wecken. Bei der Umsetzung des Comics wurden überdies Fragen aufgeworfen, die sich bei einer klassischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema womöglich nicht stellen, etwa die nach dem Druck auf den 1930 verwendeten Druckluftleitungen, den unter Bergleuten verwendeten Grußformeln oder dem Aussehen eines frisch galvanisierten Lederschuhs.

Der Comic „Der Schuh des Jahrhunderts“ – der Name ist im Übrigen eine Schöpfung der zeitgenössischen Zeitungsberichterstattung über die Rettung Fritz Wienpahls – wurde im November 2022 in der Publikation montan.dok-news des Deutschen Bergbaumuseums Bochum veröffentlicht und ist dort aktuell zusammen mit dem Originalobjekt in der Ausstellung „Doppelbock auf Museum. Das bewegte Fördergerüst“ (15.5.2024-18.05.2025) zu sehen.

Link: 20221026-montandok-news-02-2022.indd (bergbaumuseum.de)